Das Thema Agrargemeinschaften bewegt Tirol seit Jahren. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Auseinandersetzung der Gemeinde Mieders im Stubaital mit der dortigen Agrargemeinschaft jahrzehntelange Missstände aufgezeigt und sie mit bemerkenswerter Deutlichkeit niedergeschrieben.
Mein Fazit aus dem Erkenntnis: So schaut es also aus, wenn ein Verfassungsgericht - auf gut tirolerisch - "Watschen" verteilt.
Die Darstellung in den Medien zu diesem Erkenntnis, insbesondere aber die Reaktionen einzelner Landespolitiker und Interessensvertreter, erwecken mitunter den Eindruck, dass (1) alles doch nicht so klar, (2) noch nicht das letzte Wort gesprochen, (3) der Verfassungsgerichtshof von einem abstrusen Eigentumsbegriff ausgegangen sei.
Diese Äußerungen wollen entweder die Öffentlichkeit weiter für dumm verkaufen oder lassen am juristischen Grundverständnis der Äußernden zweifeln (so sie ein solches für sich in Anspruch nehmen).
Da sich die Berichterstattung zum Erkenntnis offensichtlich scheut, die Dinge beim Namen zu nennen, und stattdessen Zusammenfassungen gezimmert werden, die vieles missverstehen lassen, was eigentlich nicht misszuverstehen ist, will ich hier einige entscheidende Passagen aus dem Erkenntnis vom 11. Juni 2008 (B 464/07-30) wörtlich zitieren.
Mir fällt bei Berichten über gerichtliche Entscheidungen immer wieder auf, dass wörtliche Wiedergaben tunlichst vermieden werden; so unverständlich, wie Berichterstatter offenkundig meinen, ist aber die gewählte Diktion in den Urteilen nicht, insbesondere nicht im konkreten Anlassfall. Missverständlich wird das Thema oft erst in vermeintlich verständlich formulierten "Übersetzungen" oder - besser gesagt - Verkürzungen solcher Entscheidungen.
Den Volltext des Erkenntnisses finden Sie im Übrigen auf der Website des Rechtsvertreters der Gemeinde Mieders, Dr. Andreas Brugger, wo auch in eindrucksvoller Weise die gesamte Historie dieser Causa (und anderer) nachzulesen ist.
Der Verfassungsgerichtshof (auszugsweise) wörtlich (Hervorhebungen von mir):
Die Agrargemeinschaft Mieders ist das Ergebnis der Regulierung des Gemeindegutes Mieders vom 17. August 1962. Das Regulierungsverfahren war mit Bescheid vom 6. Dezember 1961 für das Gemeindegut Mieders eingeleitet worden; das in den Regulierungsplan vom 9. Jänner 1963 übernommene Verzeichnis der Anteilsrechte hält eingangs fest, die näher umschriebenen Grundstücke stellten „als Gemeindegut der Gemeinde Mieders agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne des § 36 Abs 2 lit. d TFLG dar“, an denen „die Gemeinde Mieders als solche mit 137 Anteilen (das sind 10%)“ und die jeweiligen Eigentümer der im Folgenden einzeln angeführten Stammsitzliegenschaften anteilsberechtigt seien.
Die belangte Behörde (Anm.: Amt der Tiroler Landesregierung) geht davon aus und bestätigt das in ihrer Stellungnahme zu den vom VfGH gestellten Fragen ausdrücklich, dass „durch die Regulierung ... die Eigenschaft der das Regulierungsgebiet bildenden Liegenschaft als Gemeindegut beseitigt (worden sei), weil Eigentum und Verfügungsgewalt auf die Agrargemeinschaft übergingen“.
Mit dieser Auslegung unterstellt die belangte Behörde – wie spätestens seit dem Erkenntnis des VfGH VfSlg. 9336/1982 klar sein muss – den Regulierungsakten einen verfassungswidrigen, dem Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit vor dem Gesetz widersprechenden Inhalt.
Gemeindegut steht im Eigentum der Gemeinde, wird aber von allen oder bestimmten Gemeindegliedern aufgrund alter Übung unmittelbar für land- und forstwirtschaftliche Zwecke zur Deckung des Haus- und Gutsbedarfes von Stammsitzliegenschaften genutzt. Der über die Summe der Nutzungsrechte hinausgehende Substanzwert des Gemeindegutes, der je nach Art der Nutzung möglicherweise freilich erst bei Eingriff in die Substanz oder bei Teilungen zutage tritt, steht daher der Gemeinde zu (vgl. VfSlg. 9336/1982). Die Befugnis der Agrarbehörden zur Regelung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am Gemeindegut hätte sich folglich auf die Regulierung der Ausübung der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte beschränken müssen. Das ist im Hinblick auf die undifferenzierte Einbeziehung des Gemeindegutes in das System des Flurverfassungsrechtes nicht geschehen.
Wenn die Agrarbehörden in den Sechziger Jahren also das Eigentum am Gemeindegut auf die Agrargemeinschaft übertragen haben, war das durch das Vorbild der echten Agrargemeinschaften vielleicht nahe gelegt, im Blick auf das Ergebnis aber offenkundig verfassungswidrig. Ist der Akt jedoch – wie hier – rechtskräftig geworden, ist Gemeindegut entstanden, das nun atypischerweise im gemeinsamen Eigentum der Gemeinde und der Nutzungsberechtigten steht und als Agrargemeinschaft organisiert ist (vgl. VfSlg. 17.779/2006).
[Wie aus dieser Formulierung nunmehr manche ableiten wollen, der VfGH habe mit diesem Erkenntnis einen neuen „atypischen Eigentumsbegriff“ konstruiert, ist für einen Juristen schwer verständlich und kann wohl nur mit dem Versuch erklärt werden, noch irgendwie eine Rechtfertigung für vergangenes Verhalten zu finden. Der VfGH spricht nämlich nicht von einem „atypischen Eigentum“, sondern davon, dass das Eigentum am Gemeindegut „atypischerweise“ gemeinsam der Gemeinde und diversen in einer Agrargemeinschaft organisierten Nutzungsberechtigten zusteht.]
Innerhalb der Agrargemeinschaft allerdings – einer Körperschaft des öffentlichen Rechts – wirft eine solche Konstruktion die Frage auf, wie der Anteil der Gemeinde im Verhältnis zu den Anteilen der Inhaber von Stammsitzliegenschaften zu bemessen ist. Der nach Abzug der Belastung durch die land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte verbleibende Substanzwert ist nämlich keine feste Größe, sondern kann ... nach den jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnissen während des Bestandes der Agrargemeinschaft stark wechseln. Unter der zeitbedingt verständlichen Annahme, dass für die laufende Bewirtschaftung des Gemeindegutes nur land- und forstwirtschaftliche Nutzungen in Betracht kommen, tritt er überhaupt nicht in Erscheinung. ... Der Anteil der Gemeinde als solcher wurde auch im vorliegenden Fall mit einem Prozentsatz festgestellt, der den damals tatsächlich in Anspruch genommenen Holznutzungen entsprach ..., Nutzungen, die die Gemeinde freilich bis dahin nicht kraft Nutzungsrechts, sondern kraft Eigentumsrechts bezog.
Die für die Anteilsfestsetzung maßgeblichen Größen können sich jedoch ändern und haben sich auch im Laufe der Zeit in dieser Hinsicht offenkundig geändert. Die Bedeutung nicht land- und forstwirtschaftlicher Nutzungen hat offenkundig zugenommen. Es wäre aber unsachlich und einer ersatzlosen Enteignung gleichzuhalten, wenn aus dem formalen Übergang des Eigentums am Gemeindegut an die Agrargemeinschaft der - nach Inhalt des rechtskräftig gewordenen Bescheides nicht zwingende – Schluss gezogen würde, die Zuordnung des Substanzwertes an die Gemeinde sei damit als solche (auch materiell) für alle Zeiten beseitigt worden.
An sich sieht nämlich das Gesetz die Abänderung von Regulierungsplänen vor (§ 69 Abs 1 TFLG). Die Beseitigung des Zwanges, das Ausmaß der Mitgliedschaft auch beim Gemeindegut ausschließlich an den Nutzungsrechten zu orientieren durch VfSlg. 9336/1982, erlaubt nunmehr die Berücksichtigung des Substanzwertes. Das ist auch verfassungsrechtlich geboten. Die das Gemeindegut repräsentierenden Agrargemeinschaften dürfen nach dem Erkenntnis VfSlg. 9336/1982 nicht mehr ohne Bedachtnahme auf den Substanzwert geteilt werden, sofern er bei dieser Gelegenheit erstmals zutage tritt. ... Andernfalls würde man die verfassungswidrige Behandlung von Gemeindegut weiter fortsetzen.
Der VfGH geht davon aus, dass eine Änderung (des Regulierungsplans) nur dann, aber auch immer dann stattzufinden hat, wenn sich die erfolgte Regulierung für die Ausübung der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte unzweckmäßig erweist oder die für die Nutzungsverhältnisse maßgeblich gewesenen Umstände geändert haben. Eine solche Änderung der Umstände kommt bei verfassungskonformer Auslegung der nunmehrigen Rechtslage in Betracht.
Dass sich seit 1963 die für die Anteilsverhältnisse maßgeblichen Umstände geändert haben, ist angesichts der zahlreichen Veränderungen der Substanz und Ausweitung der Nutzungen seit dem Jahre 1984 (dem Jahr der Novellierung des TFLG im Gefolge von VfSlg. 9336/1982) ... auch dann nicht zweifelhaft, wenn man unterstellt, dass Veräußerungen schon zur Zeit der Regulierung gelegentlich stattgefunden haben. Es wäre daher längst Aufgabe der Agrarbehörde gewesen, die Änderung der Verhältnisse von Amts wegen aufzugreifen.
In ihrer Stellungnahme zur Frage des VfGH, ob die Regulierung die Eigenschaft der Liegenschaften, Gemeindegut zu sein, beseitigt habe, will die belangte Behörde ... die Beseitigung dieser Eigenschaft daraus ableiten, dass die Eigentumsverhältnisse durch die Regulierung verändert wurden. Die rechtskräftig gewordene Eigentumsübertragung hat jedoch nur das Eigentum auf die Agrargemeinschaft übertragen, an der Eigenschaft des Gemeindeguts nichts verändern können und wollen und daher auch nichts verändert. Es war in keinem Verfahrensstadium davon die Rede, dass es sich etwa nicht um Gemeindegut gehandelt habe ... oder dass (rechtswidriger Weise) beabsichtigt sei, aus dem Gemeindegut eine reine Agrargemeinschaft zu machen.
Aus dem Erkenntnis (VfSlg. 9336/1982) ergibt sich vielmehr im Gegenteil, dass der Substanzwert am Gemeindegut seit jeher der Gemeinde zugestanden ist (was in ihrem Alleineigentum zum Ausdruck kam) und nicht der geringste Anhaltspunkt bestand, dass die Gemeinden bewusst enteignet werden sollten ...
Der Umstand, dass eine Regulierung der Sechziger Jahre das Eigentum am Gemeindegut der Agrargemeinschaft zugeordnet und der Gemeinde einen Anteil nur nach Maßgabe der Nutzungen zugebilligt hat, dispensiert demgemäß heute nicht vom verfassungsrechtlichen Gebot, den der Gemeinde zustehenden, wenngleich bisher nicht berücksichtigten Substanzwert im Falle einer Teilung zu berücksichtigen und gegebenenfalls schon vorher die Anteile neu festzustellen.
Die These des Verfassungsdienstes des Amtes der Tiroler Landesregierung, für eine verfassungskonforme Deutung der Ergebnisse der Regulierung sei kein Raum mehr, unterstellt der bloßen Regulierung einen überschießenden, die Verhältnisse für alle Zeiten grundlegend verändernden Sinn. Eine solche Deutung verbietet sich aber schon angesichts des die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beherrschenden öffentlichen Interesses, das seit jeher eine Änderung der Verhältnisse ermöglicht.
Die Wirkungen der Regulierung dürfen nicht mehr vor dem Hintergrund einer verfehlten, unsachlichen und das Eigentumsgrundrecht verletzenden Rechtsansicht, sondern müssen anhand der verfassungskonform verstandenen Rechtslage beurteilt werden.
Die Beschwerde (der Gemeinde Mieders) rügt in der Sache selbst nur die Verletzung des Gleichheitssatzes. Sie scheut offenbar, eine Verletzung des Eigentumsrechtes geltend zu machen, weil die Gemeinde nicht mehr Eigentümerin der Liegenschaften ist. Der VfGH ist an die Rüge der Beschwerde insoweit nicht gebunden. Er sieht vielmehr auch das Eigentumsrecht als verletzt an:
Anders all die allgemein als öffentlich-rechtlich angesehenen, wenngleich auf Grund alter Übung nur bestimmten Gemeindegliedern zustehenden Nutzungsrechte ist der Anteil der Gemeinde an dem als agrargemeinschaftliches Grundstück regulierten Gemeindegut als Surrogat ihres ursprünglichen (durch die Regulierung beseitigten) Alleineigentums und somit auch in Gestalt des bloßen Anteils an der Agrargemeinschaft jedenfalls Eigentum im Sinne des Art. 5 StGG bzw. Art. 1 1. ZP EMRK.
Denkunmögliche Gesetzesanwendung stellt daher auch eine Eigentumsverletzung im Sinne dieser Verfassungsbestimmung dar. Als denkunmögliche Gesetzesanwendung ist aber die anhaltende Verweigerung der Berücksichtigung des Substanzwertes bei Bemessung der Anteile zu werten. War nämlich die Entscheidung der Behörde in den Jahren 1962/63, das Eigentum der neugeschaffenen Agrargemeinschaft zuzuordnen, bei damals gegebener Sachlage vielleicht noch hinnehmbar, vernichtet die nunmehrige Weigerung, den Substanzwert zu berücksichtigen, das Vermögensrecht der Gemeinde. Das verstößt gegen das Eigentumsrecht.
Mehr Ohrfeigen in einem Erkenntnis kann man also kaum mehr einfangen. Dass hier aus einzelnen Ecken immer noch relativiert wird, kann wohl nur damit erklärt werden, dass man ungern Privilegien und handfeste vermögenswerte Vorteile aufgibt. Diese Haltung mit juristischen Argumenten untermauern zu wollen, ist aber vor dem Hintergrund dieser Entscheidung nur mehr peinlich.
Dass in diesem Anlassfall das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz der Gemeinde Mieders Recht gegeben und den vom VfGH ausgesprochenen Grundsätzen Rechnung getragen hat, bleibt aktuell oft unerwähnt. Dass der zuständige Landesbeamte in Gefolge seiner damaligen Entscheidung seinen Karriereweg begraben musste, kann ich zwar nicht belegen, hält sich aber beharrlich als Gerücht ...! Ich bin gespannt, ob es ihn betreffend in irgendeiner Form eine Art von Rehabilitierung gibt.