7. Juli 2008

Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Wahl seines Vorsitzenden und ersten Stellvertreters (§§ 30 g Abs 1 GmbHG, 110 Abs 3 ArbVG)

Eine GmbH ist aufsichtsratpflichtig geworden.
Die Gesellschafter beabsichtigen, den Gesellschaftsvertrag dahingehend anzupassen, dass alle Kapitalvertreter im Aufsichtsrat von den Gesellschaftern entsandt werden. Darüber hinaus soll einem Gesellschafter persönlich das Recht eingeräumt werden, den Vorsitzenden des Aufsichtsrates zu bestimmen. Es soll daher eine gesellschaftsvertragliche Regelung getroffen werden, wonach der betreffende Gesellschafter berechtigt ist, den Vorsitzenden des Aufsichtsrats zu bestimmen „unter der Bedingung, dass die von ihm bestimmte Person auch von den Arbeitnehmervertretern mit der einfachen Mehrheit der von diesen abgegebenen Stimmen gewählt wird“.

Mir wurde diese beabsichtigte Satzungsbestimmung vorab mit der Frage nach deren Zulässigkeit vorgelegt.

Gemäß § 30 g Abs 1 erster Satz GmbHG sind aus der Mitte des Aufsichtsrates ein Vorsitzender und mindestens ein Stellvertreter zu bestellen.
Gemäß § 110 Abs 3 vierter und fünfter Satz ArbVG bedarf ein Beschluss des Aufsichtsrates über die Bestellung und Abberufung von Mitgliedern des Vorstandes, abgesehen von den allgemeinen Beschlusserfordernissen des Aktiengesetzes, zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung der Mehrheit der nach dem Aktiengesetz oder der Satzung bestellten Mitglieder. Das gleiche gilt für die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines ersten Stellvertreters („doppelte Mehrheit“). Diese arbeitsverfassungsrechtliche Regelung, die sich an der aktienrechtlichen Zuständigkeit orientiert, geht als lex specialis dem GmbH-Gesetz vor, da zwingendes GmbH-Recht nicht entgegensteht. Die Kompetenz zur Bestellung des Vorsitzenden und seines ersten Stellvertreters wird nämlich in § 30 g GmbHG nicht ausschließlich den Gesellschaftern zugewiesen. Demnach sind in Aufsichtsräten, in die Arbeitnehmervertreter entsendet werden, der Vorsitzende und sein erster Stellvertreter durch den Aufsichtsrat selbst mit der doppelten Mehrheit gemäß § 110 Abs 3 ArbVG zu wählen. Entgegenstehende gesellschaftsvertragliche Regelungen sind nichtig (Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I², Rn 4/185 f).

Die Wahl erfordert sowohl die Mehrheit aller gültig abgegebenen Stimmen als auch die Zustimmung der Mehrheit aller von Seiten der Gesellschafter bestellten (gewählten und entsandten) Mitglieder. Diese „doppelte Mehrheit“ schützt die Mehrheit der Gesellschaftervertreter im Aufsichtsrat davor, von einer Koalition aus Arbeitnehmervertretern und einer Minderheit von Gesellschaftervertretern überstimmt zu werden („Gesellschafterschutzklausel“).
Die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Vorsitzendenwahl ergibt sich also direkt aus dem Gesetz. Die arbeitsverfassungsrechtliche Regelung bewirkt damit, dass die gesetzliche Aufsichtsratszuständigkeit für die Vorsitzendenwahl durch Satzungsbestimmung in den Fällen der Arbeitnehmerbeteiligung nicht geändert werden kann. Die Nichtigkeit ergibt sich somit aus der Tatsache, dass eine solche Bestimmung des Gesellschaftsvertrages gegen zwingendes Recht verstößt (Reich-Rohrwig, aaO, Rn 4/187 f; Umfahrer, GmbH 6. Aufl., Rn 413, Fn 1039; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³, § 30 g Rn 1).
Koppensteiner/Rüffler (aaO) weisen zusätzlich darauf hin, dass unabhängig von der arbeitsverfassungsrechtlichen Regelung gegen eine Bestellungszuständigkeit durch Gesellschaftsvertrag oder Gesellschafterversammlung auch die Organisationsautonomie des Aufsichtsrates sprechen. Es sei in erster Linie Sache des Aufsichtsrats selbst, den Vorsitzenden und den Stellvertreter zu wählen. Denn die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats wird verbessert, wenn sein Vorsitzender vom mehrheitlichen Vertrauen der Mitglieder unterstützt wird.

Die eingangs geschilderte Regelung im Gesellschaftsvertrag ist damit schon deshalb unzulässig (und nichtig), weil zwar die Mitbestimmungsmöglichkeit der Arbeitnehmervertreter gewahrt wäre, durch die Nominierungsmöglichkeit eines einzigen Gesellschafters aber gerade die vom Gesetz verpönte Situation verwirklicht würde: Die „Gesellschafterschutzklausel“ soll ja verhindern, dass eine Minderheit von Kapital(Gesellschafter)vertretern in einer Koalition mit den Arbeitnehmervertretern die Mehrheit der Gesellschaftervertreter überstimmt. Mit der ins Auge gefassten Regelung würde eine solche Koalition zwischen einem einzigen (entsendungsberechtigten) Gesellschafter und den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat geschmiedet; damit wären im Ergebnis alle Kapital(Gesellschafter)vertreter im Aufsichtsrat von der Wahl des Vorsitzenden ausgeschlossen.

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