29. November 2008

Beseitigt eine formwechselnde Umwandlung einer AG in eine (dann) mittelgroße GmbH die Bindung der Kapitalrücklagen der AG gemäß § 130 AktG?

Eine im Firmenbuch des Landesgerichtes Innsbruck eingetragene Aktiengesellschaft weist in der Bilanz (hohe) gebundene Rücklagen aus, die großteils aus dem Agio vergangener Kapitalerhöhungen (durch Sacheinlagen) resultieren.

In Vorbereitung einer up-stream-Verschmelzung auf eine neu gegründete Gesellschaft ist beabsichtigt, diese Aktiengesellschaft formwechselnd in eine GmbH umzuwandeln (§§ 239 ff AktG). Hintergrund für diesen Schritt ist die Absicht, die eingangs genannten gebundenen Rücklagen „frei“ zu bekommen, um dem Erfordernis der Verhinderung eines kapitalentsperrenden Effektes im Zuge der Verschmelzung Rechnung zu tragen.

Mir liegen gutachterliche Stellungnahmen einer namhaften Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und einer namhaften Anwaltssozietät vor, die zusammengefasst Folgendes festhalten:

Das Verschmelzungsrecht sieht grundsätzlich kein „Weiterwirken“ von gebundenen Rücklagen der übertragenden Gesellschaft bei der übernehmenden Gesellschaft vor. Seit 6 Ob 4/99b ist aber klar, dass es durch eine Verschmelzung nicht zu einem kapitalentsperrenden Effekt kommen darf.
Gebundene Rücklagen einer AG bestehen nach § 130 AktG einerseits aus der gebundenen Kapitalrücklage und andererseits aus der gesetzlichen Rücklage. In die gebundene Kapitalrücklage sind die in § 229 Abs 2 Z 1 – 4 UGB genannten Beträge einzustellen, u.a. auch Agio-Beträge aus Kapitalerhöhungen (Z 1).
Gemäß § 23 GmbHG ist § 130 AktG auch auf große GmbHs anzuwenden; daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass mittlere und kleine GmbHs keine gebundene Rücklagen zu bilden haben.
Die Kapitalrücklage nach § 229 Abs 2 Z 1 – 5 UGB ist grundsätzlich auch von einer GmbH unabhängig von ihrer Größe zu bilden; § 229 UGB sagt allerdings nichts darüber aus, ob diese Kapitalrücklagen gebunden sein müssen oder nicht; die Bindung ergibt sich nur aus § 130 AktG.
Bei der formwechselnden Umwandlung einer AG in eine GmbH gemäß § 239 AktG ist der Gläubigerschutz in § 243 AktG geregelt, der einen Sicherheitsleistungs- bzw. Befriedigungsanspruch binnen 6 Monaten nach Eintragung der Umwandlung im Firmenbuch statuiert, wenn sie sich zu diesem Zweck bei der Gesellschaft melden.

Nach Nowotny (Gebundene Rücklagen, GesRZ 1996, 72) sei der Gläubigerschutz in § 243 AktG geregelt. Daraus lasse sich ableiten, dass im Falle einer formwechselnden Umwandlung einer AG in eine kleine oder mittelgroße GmbH die gebundenen Rücklagen frei werden; dass also die gebundenen Rücklagen ihre Bindung nach § 130 Abs 2 AktG verlieren.
Kalss halte für die verschmelzende Umwandlung ebenfalls fest, dass die gebundenen Kapitalrücklagen zu freien Kapitalrücklagen werden (Kalss, § 2 UmwG, Rz 29). Den Gläubigerschutz bei der verschmelzenden Umwandlung regle der Verweis von § 2 UmwG auf § 226 AktG.

Da nach einer Umwandlung in eine GmbH die betreffende Gesellschaft nach den Größenmerkmalen als mittelgroße GmbH einzustufen wäre, werden die gebundenen Rücklagen „frei“, womit dem Erfordernis, wonach bei der Verschmelzung keine kapitalentsperrender Effekt eintreten dürfe, Rechnung getragen werden könnte.

Ich halte dem entgegen:

Gebundene Rücklagen dürfen nicht an die Gesellschafter ausgeschüttet werden und können nur zur Deckung von Bilanzverlusten aufgelöst werden. Mit der Bindung wird dem Kapitalerhaltungsgrundsatz entsprochen.

Einbringungen gegen Anteilsgewährung unterliegen den für Sachgründungen und Sachkapitalerhöhungen geltenden Bestimmungen. Übersteigt der Saldo der in der Bilanz der übernehmenden Körperschaft eingebuchten Werte des eingebrachten Vermögens den Nennbetrag der gewährten Anteile, liegt ein Aufgeld vor, das gemäß § 229 Abs 2 Z 1 UGB als Kapitalrücklage auszuweisen ist. Diese Rücklage ist bei großen GmbHs gebunden, bei kleinen und mittelgroßen GmbHs könnte sich eine Bindung bzw. eine gleichwertige Rechtsfolge zugunsten des Gläubigerschutzes aus § 235 UGB ergeben (OGH 11.09.2003, 6 Ob 103/03w).
Wenn der Buchwert des eingebrachten Vermögens höher als der Nennbetrag neuer im Zuge der Kapitalerhöhung geschaffener Anteile ist, handelt es sich bei diesem Umgründungsgewinn um ein Sacheinlagenagio, das als Kapitalrücklage auszuweisen ist (Hügel, Umgründungsbilanzen 70).

"Der ausschüttbare Gewinn eines Geschäftsjahres darf nicht vermehrt werden: um Erträge auf Grund der Auflösung von Kapitalrücklagen, die durch Umgründungen unter Ansatz des beizulegenden Wertes gemäß § 202 Abs 2 Z 1 in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Buchwert und dem höheren beizulegenden Wert entstanden sind“ (§ 235 Z 3 UGB).
Diese Norm beschränkt also die Auflösung von Kapitalrücklagen, die durch Umgründungen entstanden sind.
Diese Beschränkung des § 235 Z 3 UGB liegt in einer Ausschüttungssperre solcher Beträge, und zwar hinsichtlich
  • der Erträge aus der Auflösung von Kapitalrücklagen, die durch Umgründungen unter Ansatz des beizulegenden Wertes gemäß § 202 Abs 1 UGB in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Buchwert und dem höheren beizulegenden Wert entstanden sind
  • oder unter Fortführung der Buchwerte gemäß § 202 Abs 2 UGB, wenn aufgrund der Festlegung eines über den Nennbetrag der ausgegebenen Anteile hinaus festgelegten Ausgabebetrages gemäß § 202 Abs 2 Z 2 und 3 UGB ein Umgründungsmehrwert oder Firmenwert ausgewiesen wird
  • und die in einem nach dem 31.12.1991 endenden Geschäftsjahr gebildet worden sind
  • und in einem nach dem 30.6.1996 beginnenden Geschäftsjahr ertragswirksam aufgelöst werden
(Strimitzer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch der Umgründungen, Rz 109).

Die Ausschüttungssperre erfasst nur solche Kapitalrücklagen, die im Zusammenhang mit Umgründungen auf der Grundlage der Art I – VI UmgrStG entstehen. Allerdings sind auch außerhalb des UmgrStG durchgeführte Umgründungen davon betroffen, sofern unternehmensrechtlich mit dem beizulegenden Wert gemäß § 202 Abs 1 UGB neue bewertet wird (Strimitzer aaO, Rz 111).

Platzer (Aktuelle bilanzrechtliche Fragen bei M&A-Transaktionen und Umgründungen, RdW 2007, 622) führt aus, dass der OGH mit 6 Ob 103/03w durch § 235 UGB alle umgründungsbedingten Rücklagen mit einer Ausschüttungssperre belegen will, gleichgültig, ob sie gebunden oder ungebunden sind.
In 6 Ob 4/99b hat der OGH ausdrücklich festgestellt, dass durch die Verschmelzung der Gläubigerschutz nicht gemindert werden dürfe, weil § 226 AktG allein diesen Gläubigerschutz nicht ausreichend gewährleiste.

Ich komme daher zum Schluss, dass ungeachtet der Frage, ob die bloße formwechselnde Umwandlung einer AG in eine (dann) mittelgroße GmbH zu einer Aufhebung der ursprünglich gegebenen Bindung der Kapitalrücklage gemäß § 130 AktG führt, die Bindung der Kapitalrücklage in der umgewandelten GmbH aufgrund der Ausschüttungssperre des § 235 Z 3 UGB aufrecht bleibt. Der „Schachzug“ einer vorgeschalteten formwechselnden Umwandlung der AG in eine GmbH wird daher dieser Verschmelzung nicht den Weg ebnen, weil die ausschüttungsgesperrten Beträge gemäß dem Kapitalerhaltungsgrundsatz gebunden bleiben müssen und die Verschmelzung somit ohne flankierende Gläubigerschutzmaßnahmen im Firmenbuch nicht eingetragen werden kann.

Abgesehen davon sei noch angemerkt, dass die beiden Gutachten bezüglich des „Freiwerdens der Kapitalrücklage“ die Auseinandersetzung mit der Frage schuldig bleiben, die in 6 Ob 4/99b sehr deutlich aufgeworfen wurde: Dass nämlich der nachgeschaltete Gläubigerschutz des § 226 AktG eine durch die Verschmelzung bewirkte kapitalherabsetzende Wirkung nicht zu rechtfertigen vermag. Auch der Gläubigerschutz des § 243 AktG ist wie § 226 AktG nachgeschaltet, sodass dieselbe „Gefahrenlage“ verwirklicht wird.
Die beiden herangezogenen literarischen Belegstellen (Nowotny und Kalss) sind zu einem Zeitpunkt vor dem 11.11.1999 (6 Ob 4/99b) verfasst worden, sodass eine kritische Würdigung dieser Meinungen vor dem Hintergrund der geänderten Rechtsprechung geboten gewesen wäre.

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