Die Löschung einer inländischen Zweigniederlassung einer EU- bzw. EWR-Gesellschaft darf nicht von der Einhaltung der Liquidationsbestimmungen des österreichischen Rechts abhängig gemacht werden.
Die Vorstandsmitglieder einer liechtensteinischen Aktiengesellschaft (SA) beantragten die Löschung ihrer im Firmenbuch eingetragenen österreichischen Zweigniederlassung mit der Behauptung, dass der Geschäftsbetrieb der Zweigniederlassung eingestellt worden sei.
Das Firmenbuchgericht wies diesen Antrag mit der Begründung, dass die Löschung der Zweigniederlassung die Durchführung eines besonderen Liquidationsverfahrens voraussetze und dieses nicht stattgefunden habe, ab.
Der Rekurs der Gesellschaft gegen diesen abweisenden Beschluss hatte Erfolg; das Oberlandesgericht Innsbruck führte zu 3 R 100/07s aus wie folgt:
Gemäß § 254 Abs 8 AktG hat die Abwicklung der Geschäfte einer inländischen Zweigniederlassung ausländischer Kapitalgesellschaften unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen über die Abwicklung von Aktiengesellschaften zu erfolgen. Es sind somit die Bestimmungen der §§ 205 - 215 AktG sinngemäß anzuwenden, welche ein besonderes Liquidationsverfahren erfordern, das der Auflösung, Liquidation und Löschung einer inländischen Gesellschaft nachgebildet ist.
Die herrschende Lehre hält diese Bestimmungen im Verhältnis zu EU- bzw. EWR-Gesellschaften für nicht anwendbar, da sie eine unzulässige Ausländerdiskriminierung sowie einen Verstoß gegen die in den Art. 43 und 48 EGV normierte Niederlassungsfreiheit darstellen. Bestimmungen, die gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen, sind aufgrund der unmittelbaren Geltung des Art. 43 EGV unanwendbar.
Das Fürstentum Liechtenstein ist am 1.5.1995 dem am 1.1.1994 in Kraft getretenen EWR-Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den EFTA-Staaten beigetreten. Dieses Abkommen steht zwischen den EU-Mitgliedstaaten einerseits und den EFTA-Staaten Liechtenstein, Island und Norwegen weiterhin in Geltung.
Mit der Übernahme der vier Grundfreiheiten in den Europäischen Wirtschaftsraum wurde der innerhalb des Gebietes der Gemeinschaft verwirklichte Binnenmarkt auf die EFTA-Staaten ausgeweitet.
Inländische Gesellschaften müssen ihre Zweigniederlassungen nicht förmlich liquidieren, es hat bloß die Anmeldung der Auflassung der Zweigniederlassung beim Firmenbuch der Hauptniederlassung zu erfolgen. Die Auflassung der Zweigniederlassung einer Inlandsgesellschaft setzt weder einen Gesellschafterbeschluss noch eine Gläubigerkonvokation voraus. Ausländische Gesellschaften werden daher durch die vorerwähnten österreichischen Bestimmungen hinsichtlich ihrer inländischen Zweigniederlassungen schlechter behandelt als österreichische. Die Verpflichtung zur Durchführung eines Liquidationsverfahrens wäre nur zulässig, wenn durch sie ein legitimes Ziel verfolgt wird, dass mit dem EGV vereinbar oder durch zwingende Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt ist. Derartige Gründe, welche die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen könnten, sind jedoch nicht ersichtlich.
Die Verpflichtung zur Abwicklung inländischer Zweigniederlassungen von ausländischen Gesellschaften stellt daher eine unzulässige Ausländerdiskriminierung sowie einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit dar, sodass § 254 Abs 8 AktG kraft des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechtes auf EU- bzw. EWR-Gesellschaften nicht anzuwenden ist. Es besteht somit keine Verpflichtung, Zweigniederlassungen von EU-bzw. EWR-Gesellschaften abzuwickeln.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen