27. Juli 2012

Zustimmungsvorbehalt zu den Modalitäten für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (§ 9 Abs 1 EU-VerschG)

Folgende Frage wurde im Vorfeld einer geplanten grenzüberschreitenden Verschmelzung an mich herangetragen:

Ergibt sich aus § 9 Abs 1 EU-VerschG das Erfordernis von Hauptversammlungen oder umfasst die Möglichkeit, bei beiden beteiligten Gesellschaften auf die Abhaltung einer Hauptversammlung verzichten zu können, auch die Möglichkeit des Verzichtes, die Hauptversammlung mit den Modalitäten für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer zu befassen.

Im konkreten Fall steht eine Importverschmelzung zur Debatte, wobei die 100%-ige italienische Tochtergesellschaft (S.p.a.) auf deren Mutter-AG in Österreich verschmolzen werden soll.

Im Vorfeld haben beide Alleinaktionäre, also die Mutter-AG und deren Alleinaktionärin, bereits erklärt, auf die Abhaltung einer Hauptversammlung, die über die Verschmelzung beschließt, zu verzichten. Die Verzichtsmöglichkeit bei der österreichischen übernehmenden Gesellschaft ergibt sich aus § 231 Abs 1 Z 1 AktG, nachdem sie Alleinaktionärin der übertragenden (italienischen) Tochtergesellschaft ist. Die Zulässigkeit des Verzichts bei der übertragenden Gesellschaft nach italienischem Recht wurde geprüft und ist ebenfalls gegeben.

Ich denke, dass die Antwort auf die angesprochene Frage eindeutig ist:

Es ist ein Recht der Hauptversammlung, sich die Bestätigung der Modalitäten für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer gem § 9 Abs 1 EU-VerschG vorzubehalten. Es handelt sich dabei um einen gesetzlich geregelten Vorbehalt zum Verschmelzungsbeschluss, der rechtstechnisch als aufschiebende Bedingung der späteren gesonderten Beschlussfassung über die Mitbestimmungsmodalitäten zu verstehen ist. Nach dem Wortlaut und aus Rechtssicherheitsüberlegungen muss der Vorbehalt zugleich - also in derselben Gesellschafterversammlung - wie die Genehmigung des Verschmelzungsplans beschlossen werden (Wenger in Frotz/Kaufmann, Grenzüberschreitende Verschmelzungen § 9 Rz 10a).

Das kann nur so verstanden werden, dass dieser Bestätigungsbeschluss über die Modalitäten, wenn der Vorbehalt genützt wird, Bestandteil des Verschmelzungsbeschlusses ist (Wenger aaO Rz 10c).

Daraus folgt aber zwingend, dass überhaupt eine Gesellschafterversammlung stattfindet, die über diesen Vorbehalt beschließt. Wenn die konkreten Gesellschafter auf die Abhaltung einer Gesellschafterversammlung zur Genehmigung des Verschmelzungsplans verzichten, begeben sie sich damit auch der Möglichkeit, über einen solchen Vorbehalt Beschluss zu fassen. Mit dem Verzicht auf die Abhaltung einer Gesellschafterversammlung verzichten sie daher auch auf die Fassung eines Vorbehaltsbeschlusses. Das ist natürlich ohne weiteres zulässig, weil § 9 Abs 1 EU-VerschG ausdrücklich eine "Kann-Bestimmung" ist und kein Gesellschafter zu seinem Glück gezwungen werden muss, davon auch Gebrauch zu machen.

Die Richtigkeit dieses Ansatzes zeigt sich auch dann, wenn man sich das Alternativszenario überlegt:

Die Gesellschafter verzichten auf eine Gesellschafterversammlung zur Genehmigung des Verschmelzungsplans und würden in einer nur wegen § 9 Abs 1 EU-VerschG abgehaltenen Versammlung lediglich den Beschluss fassen, dass sie von der Möglichkeit, die Verschmelzung von der Bestätigung über die Modalitäten abhängig machen zu können, keinen Gebrauch machen. Es wäre sinnentleerter Formalismus, das zu verlangen.

Zu diesem Fragenkreis verweise ich auch noch auf meinem Beitrag vom 9. Februar 2011.

Keine Kommentare: