13. Februar 2013

Selektiver Ausschluss von Minderheitsaktionären nach dem GesAusG

Im Firmenbuch des Landesgerichts Innsbruck ist die M** B** Aktiengesellschaft registriert. Deren Grundkapital von € 26.820.900 ist in 369.078 Stückaktien zerlegt.

Die U** Holding GmbH hält 363.669 Stückaktien, die U** AG hält 5.400 Stückaktien, die restlichen 9 Stückaktien der Gesellschaft befinden sich in Streubesitz.

Die U** AG ist eine Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht mit dem Sitz in der Schweiz. Die U** AG ist Alleingesellschafterin der U** Holding GmbH; die U** Holding GmbH wurde mit Errichtungserklärung vom 23.1.2012 gegründet und am 24.1.2012 im Firmenbuch eingetragen.

Die U** Holding GmbH stellte als Hauptaktionärin des Verlangen, die 9 Streubesitz-Aktionäre nach den Bestimmungen des GesAusG aus der Gesellschaft auszuschließen.

Der Vorstand und die Hauptaktionärin erstellten einen gemeinsamen Bericht über den geplanten Ausschluss gem § 3 Abs 1 GesAusG, der Prüfbericht des gerichtlich bestellten Prüfers gem § 3 Abs 2 GesAusG wurde im Anschluss daran erstellt, außerdem erstattete der Aufsichtsrat der AG seinen Prüfbericht gem § 3 Abs 3 GesAusG.

Im gemeinsamen Bericht des Vorstands und der Hauptaktionärin wurde auf den beabsichtigten selektiven Ausschluss der Minderheitsaktionäre eingegangen und diesbezüglich ausgeführt, dass die vom Ausschluss nicht betroffene Minderheitsaktionärin U** AG Alleingesellschafterin der Hauptaktionärin sei. Lediglich die 9 in Streubesitz befindlichen Aktien stünden einer effizienten Unternehmensführung entgegen. Zwischen dem Geschäftsführer der Hauptaktionärin und dem Mitglied des Verwaltungsrates der U** AG bestehe Personenidentität, weshalb gravierende Unterschiede in der Rechtsposition der Minderheitsaktionäre bestehen würden, die eine unterschiedliche Behandlung und damit den selektiven Ausschluss rechtfertigen würden. Außerdem würde der Ausschluss (auch) der U** AG Grunderwerbssteuer in erheblicher Höhe auslösen, sodass schon aus diesen Gründen vom gleichzeitigen Ausschluss der U** AG abgesehen werde.

Die Hauptversammlung vom 13.12.2012 fasste in Anwesenheit der beiden Aktionäre U** Holding GmbH und U** AG – von den neun Streubesitzaktionären war niemand anwesend – folgenden Beschluss:

Die 9 in Streubesitz befindlichen Stückaktien der Minderheitsgesellschafter werden gem §§ 1 ff GesAusG auf die Hauptgesellschafterin U** Holding GmbH übertragen, und zwar gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung von € 500,-- je Aktie …

Die U** AG stimmte im Anschluss an diesen Beschluss ihrem Verbleib in der Aktiengesellschaft ausdrücklich zu, wobei festgehalten wurde, dass sie damit keinen Anspruch auf Barabfindung habe.

Der Vorstand der AG meldete unter Vorlage der oben genannten Unterlagen, des Hauptversammlungsprotokolles und einer Bestätigung des Treuhänders gem § 5 Abs 3 GesAusG, wonach er über die Gesamtsumme der Barabfindung verfüge, diesen Gesellschafterausschluss zur Eintragung in das Firmenbuch an. Der Vorstand erklärte zudem, dass eine Klage auf Anfechtung oder Feststellung der Nichtigkeit oder Nichtigerklärung des Beschlusses innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung nicht erhoben wurde (§ 5 Abs 2 GesAusG).

In einer Zwischenerledigung meldete ich folgende Bedenken an:

Im Sinne des gesellschaftsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung kann nur die Übertragung sämtlicher auf die Minderheitsgesellschafter entfallenden Anteile beschlossen werden. Ein selektiver Ausschluss ist prinzipiell nicht zulässig.
Allerdings werden gem § 5 Abs 4 GesAusG jene Anteile übertragen, die weder dem Hauptgesellschafter noch einem mit ihm konzernmäßig verbundenen Rechtsträger iSd § 1 Abs 3 GesAusG gehören.
Es ist somit der Nachweis zu erbringen, dass die Aktionärin U** AG in einem Konzernverhältnis iSd § 1 Abs 3 GesAusG (auch in zeitlicher Hinsicht) zur Hauptaktionärin U** Holding GmbH steht.

Der Vorstand hielt in seiner Stellungnahme zu diesen Bedenken fest, dass die Hauptaktionärin die 100%-Tochter der U** AG sei und zum Zweck des Eigentumserwerbs an der M** B** Aktiengesellschaft und zur anschließenden Verwaltung gegründet worden sei. Die U** Holding GmbH sei erst mit Errichtungserklärung vom 23.1.2012 gegründet worden, weshalb zwar bei der Beschlussfassung über den Gesellschafterausschluss am 13.12.2012 die Jahresfrist gem § 1 Abs 3 GesAusG noch nicht abgelaufen sei, jedoch die Verbundenheit immer noch bestehe und diese auch auf Dauer angelegt sei. Bei dauerhaft geplanter Verbundenheit der Unternehmen sei der Gesetzeszweck des § 1 Abs 3 GesAusG jedenfalls erreicht.

Ich halte den selektiven Ausschluss im konkreten Fall für zulässig, und zwar aufgrund folgender Überlegungen:

Dem Firmenbuchgericht obliegt die materielle Prüfung der Eintragungsvoraussetzungen nach dem GesAusG, wobei sich diese Prüfung ausschließlich auf die Eintragungsvoraussetzungen erstreckt (Normativsystem). Ist der Ausschlussbeschluss iSd § 199 AktG nichtig, ist die Eintragung abzulehnen. Ist der Hauptversammlungsbeschluss dagegen nur anfechtbar – etwa bei Nichterreichen der für den Gesellschafterausschluss erforderlichen Beteiligungsschwelle oder bei Nichtvorliegen der Konzernverbundenheit –, darf die Eintragung nicht abgelehnt, sondern das Eintragungsverfahren nur unter den Voraussetzungen des § 19 FBG unterbrochen werden (Kalss, Verschmelzung/Spaltung/Umwandlung, § 5 GesAusG Rz 17).

Mit Eintragung des Beschlusses gehen grundsätzlich gem § 5 Abs 4 GesAusG alle Anteile der Minderheitsgesellschafter auf jenen Hauptgesellschafter über, der dies verlangt hat. Dies ist Ausdruck der gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsätze sowie der Treuepflicht (Kalss aaO, § 5 GesAusG Rz 19).

Kalss meint zur Zulässigkeit eines selektiven Gesellschafterausschlusses weiter, dass die nachträgliche Wiederaufnahme bloß einzelner ausgewählter Altaktionäre unmittelbar nach Eintragung des Gesellschafterausschlusses zulässig sei, sofern der Fortführung der Mitgliedschaft im Vergleich zu den anderen Minderheitsaktionären, die nicht wiederaufgenommen werden, eine sachliche Begründung zugrunde liege. Eine spätere Anteilsübertragung bedürfe keiner Rechtfertigung, sondern sei jedenfalls zulässig. Die Rechtfertigung bei unmittelbarer Aufnahme oder Wiederaufnahme diene der Vermeidung des Rechtsmissbrauchs. Zulässig sei die Wiederaufnahme bereits bezogen auf die Eintragung des Gesellschafterausschlusses, dh aufschiebend bedingt mit der Eintragung in das Firmenbuch.
Wenn man die Zulässigkeit der Fortsetzung der Mitgliedschaft einzelner Aktionäre bei Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung anerkenne, sei es konsequent, dass der Gesetzgeber nicht in jedem Fall zunächst zwingend den Ausschluss aller Gesellschafter verlange, um sofort danach die Aufnahme einzelner Aktionäre wieder zuzulassen. Der zwingende Ausschluss und der sofortige Wiedereintritt wären schlichte Formalakte, die nicht verlangt würden. Vielmehr sei ein selektiver (partieller) Ausschluss einzelner Minderheitsgesellschafter in besonderen Ausnahmesituationen tatsächlich zulässig. Dies stehe im Einklang mit dem allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sowie mit der Treuepflicht, da diese Grundsätze keine schematische Gleichbehandlung aller Gesellschafter verlangen, sondern vielmehr eine differenzierte Betrachtung und Behandlung der Aktionäre, die sich in unterschiedlichen Verhältnissen befinden, gestatten und gebieten würde. Wenn gravierende Unterschiede in der Rechtsposition der Minderheitsgesellschafter bestehen würden, seien deren unterschiedliche Behandlung und damit die Möglichkeit eines selektiven Ausschlusses einzelner Aktionäre zulässig. Das Gesetz erkenne zudem für bestimmte Sonderkonstellationen die Zulässigkeit eines selektiven Gesellschafterausschlusses ausdrücklich an.
Der selektive Ausschluss müsse im Ausschlussbeschluss festgelegt werden, wobei der vom Ausschluss nicht betroffene Minderheitsgesellschafter dem Verbleib in der Gesellschaft zustimmen muss. In diesem Fall würden dann die Anteile des vom Squeeze-out nicht betroffenen Minderheitsgesellschafters nicht auf den Hauptaktionär übergehen (Kalss aaO, § 5 GesAusG Rz 20).

Gall/Potyka/Winner lehnen die Zulässigkeit eines selektiven Gesellschafterausschlusses ab, erachten aber den spiegelbildlich verkehrten Vorgang, die Wiederaufnahme einzelner zuvor ausgeschlossener Gesellschafter bei Vorliegen eines sachlichen Grundes, für zulässig (Gesellschafterausschluss Rz 263).

Im konkreten Fall wird aber nicht nur die Zulässigkeit des selektiven Ausschlusses aufgrund dieser soeben dargestellten Kriterien thematisiert, sondern auch die Zulässigkeit aufgrund der zuzurechnenden Anteile der U** AG:

Der Hauptgesellschafter muss die 90%-Beteiligung nicht unbedingt selbst halten, gem § 1 Abs 3 GesAusG genügt es, dass der Hauptgesellschafter gemeinsam mit verbundenen Unternehmen die Beteiligung hält; damit sollen unnötige Beteiligungsübertragungen erspart bleiben. Gem § 1 Abs 3 GesAusG werden dem Hauptgesellschafter Anteile zugerechnet, die von einem mit ihm nach § 228 Abs 3 UGB verbundenen Unternehmen gehalten werden. Als verbunden gelten gem § 228 Abs 3 UGB alle Unternehmen, die in den gemeinsamen Konzernabschluss gem § 244 UGB einzubeziehen sind oder deren Einbeziehung bloß deshalb unterlassen wurde, weil das Mutterunternehmen seinen Sitz im Ausland hat. Dabei ist eine Zurechnung sämtlicher iSd § 228 Abs 3 UGB verbundener Unternehmen vorzunehmen, sodass auch von der Mutter zur Tochter zuzurechnen ist, oder auch von der einen Tochter zur anderen Tochter, somit zwischen Schwestergesellschaften (Kalss aaO, § 1 GesAusG Rz 17).

Zugerechnet werden dem Hauptgesellschafter Anteile von Unternehmen, die entweder unter einheitlicher Leitung des Hauptgesellschafters stehen oder unter deren einheitlicher Leitung der Hauptgesellschafter steht (Kalss aaO, § 1 GesAusG Rz 20). Dies ist im konkreten Fall zweifellos gegeben.

Zugerechnet werden gem § 1 Abs 3 GesAusG nur Beteiligungen von konzernmäßig verbundenen Gesellschaften, sofern der Konzern bzw die Verbundenheit mit dem Hauptgesellschafter seit mindestens einem Jahr durchgehend besteht. Dabei bildet der Beschluss über den Gesellschafterausschluss das Ende der Jahresfrist, von diesem Zeitpunkt ist also zurückzurechnen. Notwendig ist ausschließlich das Bestehen der Verbundenheit über diesen Zeitraum hindurch, nicht vorausgesetzt wird, dass auch die bzw alle Anteile an der Gesellschaft während dieses Zeitraums ununterbrochen gehalten werden. Der Zweck dieser Mindestbestandsdauer liegt in der Verhinderung von kurzfristigen Gruppenbildungen, insb etwa durch Abschluss eines Konzernvertrags.
Kalss hält die Etablierung der Jahresfrist als Abwehr gegen bloß scheinbar vereinbarte vertragliche Konzernierungen für gerechtfertigt, erachtet insgesamt aber die starre Fristsetzung für überzogen und erwägt die Reduktion der Jahresfrist bei dauerhaft geplanter Verbundenheit der Unternehmen (im Sinne einer widerlegbaren Vermutung), womit der Gesetzeszweck jedenfalls erreicht werde (Kalss aaO, § 1 GesAusG Rz 23).

Die konzernmäßige Verbundenheit über die Dauer eines Jahres ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da die Muttergesellschaft erst seit 24.1.2012 existiert. Im Eintragungsverfahren kann dieser Umstand aber ebensowenig aufgegriffen werden wie die Frage, ob hier die Voraussetzungen für einen selektiven Ausschluss tatsächlich gegeben sind oder nicht. Beide ins Treffen geführte Argumente begründen nämlich eine bloße Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses gem § 6 Abs 1 GesAusG (Kalss aaO, § 6 GesAusG Rz 10). Die diesbezügliche Monatsfrist des § 197 Abs 2 AktG ist jedoch bereits abgelaufen, ohne dass eine Anfechtung erfolgt ist.

Ob im konkreten Fall aufgrund der oben dargestellten Kriterien unabhängig vom Vorliegen eines Konzernverhältnisses iSd § 1 Abs 3 GesAusG ein selektiver Gesellschafterausschluss zulässig wäre oder im Sinne der Meinung von Kalss die Jahresfrist bei dauerhaft geplanter Verbundenheit der betroffenen Unternehmen reduziert werden könnte, kann daher im Eintragungsverfahren nicht mehr geprüft werden.

Mangels Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses steht einer Eintragung der beantragten Tatsachen nichts im Wege.

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