14. März 2012

OGH 6 Ob 242/11y – Bloße Vereinbarung der Nichtübernahme von Rechtsverhältnissen soll iSd § 38 Abs 4 UGB ausreichend sein?

Ich habe mich schon in zahlreichen Beiträgen in diesem Blog mit Fragen im Zusammenhang mit der Eintragung eines Haftungsausschlusses gemäß § 38 UGB beschäftigt (Beiträge vom 8. September 2011, vom 3. Oktober 2008, vom 22. Juli 2008, und vom 9. Juli 2008). Dabei habe ich u.a. auf folgende Essentialia für die Eintragung des Haftungsausschlusses hingewiesen:

§ 38 UGB geht davon aus, dass der Erwerber auch dann, wenn es zu keiner Vertragsübernahme oder zu keiner Übernahme einzelner Verbindlichkeiten iSd § 38 Abs 4 2. Satz UGB kommt, für die (Alt)Verbindlichkeiten des Veräußerers haftet, sofern diese Haftung nicht gesondert ausgeschlossen wird. Die Ablehnung einer Vertragsübernahme bzw. einer Übernahme einzelner Verbindlichkeiten als solche bedeutet also nicht auch schon die Ablehnung der Erwerberhaftung (Krejci, § 38 UGB: Zurück ins Trockendock? in ÖJZ 2007/73, B letzter Absatz).

Wenn demnach beispielsweise Vertragsteile im Kaufvertrag die Übernahme aller Altverbindlichkeiten der Verkäuferin ausschließen und für den Fall der Inanspruchnahme der Käuferin eine Schad- und Klagloshaltung durch die Verkäuferin vereinbaren, einen gesonderten Ausschluss der gemäß § 38 Abs 4 UGB normierten „Trotzdem-Haftung“ der Erwerberin aber nicht vereinbaren, fehlt mangels entsprechender Vereinbarung die Rechtsgrundlage für eine Eintragung dieses Haftungsausschlusses gemäß § 38 Abs 4 UGB in das Firmenbuch.

Die Entscheidung des OGH vom 21.12.2011, 6 Ob 242/11y (JusGuide 2012/10/9759; RWZ 2012/13 [Wenger]), nimmt in dieser Frage eine völlig andere Position ein, die aber nicht richtig sein kann.

Zuzustimmen ist der Entscheidung darin, dass die Eintragung des Haftungsausschlusses - wenn dies der Publizitätsakt nach § 38 Abs 4 UGB ist - "beim Unternehmensübergang" in das Firmenbuch eingetragen und dabei ein enger zeitlicher Zusammenhang eingehalten werden muss. Der OGH konkretisiert diese Komponente dahingehend, dass der zeitliche Zusammenhang bereits bei Ablauf eines Monats seit dem Unternehmensübergang nicht mehr gegeben ist.

Der OGH schreibt weiter, dass bei Erwerb eines Unternehmens der Erwerber den Unternehmensgläubigern gegenüber für Verbindlichkeiten aus unternehmensbezogenen Rechtsverhältnissen auch dann hafte, wenn er diese Rechtsverhältnisse vom Veräußerer nicht übernommen habe (§ 38 UGB). Um diese Haftung auszuschließen oder einzuschränken, bedürfe es einer besonderen abweichenden Vereinbarung (Haftungsausschluss), die Dritten gegenüber allerdings nur dann wirksam werde, wenn sie etwa in das Firmenbuch eingetragen werde (§ 38 Abs 4 UGB). Diese Vereinbarung müsse zwischen Veräußerer und Erwerber tatsächlich vereinbart worden sein, und zwar spätestens beim Unternehmensübergang, wie sich zwingend aus § 38 Abs 4 letzter Satz UGB ergebe.

Und dann folgt der für mich unverständliche Zusatz:

Eine aus dem Titelgeschäft hervorgehende Nichtübernahme des betreffenden Rechtsverhältnisses genügt dabei, weil auch daraus der eindeutige Parteiwille hervorgeht, dass der Erwerber mit den diesbezüglichen Verbindlichkeiten nichts zu tun haben will.

Der OGH beruft sich diesbezüglich auf Karollus in Jabornegg/Artmann, UGB² [2010] § 38 Rz 71, der dazu ausführt:

Voraussetzung für einen wirksamen Haftungsausschluss ist überdies so wie schon nach § 25 Abs 2 HGB, dass ein solcher zwischen Veräußerer und Erwerber tatsächlich vereinbart wurde. Eine aus dem Titelgeschäft hervorgehende Nichtübernahme des betreffenden Rechtsverhältnisses sollte dafür freilich genügen, weil auch daraus der eindeutige Parteiwille hervorgeht, dass der Erwerber mit den diesbezüglichen Verbindlichkeiten nichts zu tun haben will. Vorsichtshalber sollte aber auch eine ausdrückliche Bezugnahme auf einen „Haftungsausschluss“ erfolgen.

Ich halte dem entgegen:

Wenn nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut § 38 Abs 4 UGB eine „Trotzdem-Haftung“ normiert, diese Bestimmung also davon ausgeht, dass die Erwerberhaftung für jene Verbindlichkeiten aus Rechtsverhältnissen eintritt, die beim Veräußerer verbleiben, kann doch nicht argumentiert werden, dass die vereinbarte Nichtübernahme eines Rechtsverhältnisses genügen soll.

Gerade diese Nichtübernahme führt ja zur Haftung des Erwerbers gemäß § 38 Abs 4 UGB!

Mir ist das völlig unverständlich, weil es ja in § 38 Abs 4 UGB ausdrücklich heißt, dass der Erwerber den Unternehmensgläubigern gegenüber für Verbindlichkeiten aus unternehmensbezogenen Rechtsverhältnissen auch dann haftet, wenn er diese Rechtsverhältnisse vom Veräußerer nicht übernommen hat. § 38 UGB spricht also von einer „Nichtübernahme des betreffenden Rechtsverhältnisses“ und bringt damit wohl zum Ausdruck, dass eine Haftung eben auch dann eintritt, wenn man einen „eindeutigen Parteiwillen unterstellt, dass der Erwerber mit den diesbezüglichen Verbindlichkeiten nichts zu tun haben will“.

Ich bleibe also für meine firmenbuchgerichtliche Praxis trotz dieser Entscheidung dabei:

Die bloße Vereinbarung der Nichtübernahme von Rechtsverhältnissen stellt keine wirksame Vereinbarung eines Haftungsausschlusses gemäß § 38 Abs 4 UGB dar (so ja auch Krejci aaO und Leb, Zur Bekanntmachung des Haftungsausschlusses im Firmenbuch [§ 38 UGB], GeS 2008, 312, die von der Notwendigkeit eines „expressis-verbis-Ausschlusses“ dieser Haftung spricht). Ein „vorsichtshalber“ hergestellter Bezug (so Karollus aaO) reicht also nicht aus, es bedarf einer ausdrücklich getroffenen zusätzlichen Vereinbarung.

Im Übrigen bestätigt sich damit auch die von mir verfolgte Praxis, dass die entsprechenden Vertragsauszüge über Vereinbarungen im Zusammenhang mit § 38 UGB zur inhaltlichen Prüfung dem Firmenbuchgericht vorgelegt werden müssen. Wenn Leb aaO diesbezüglich meint, dass auch die übereinstimmende Anmeldung von Veräußerer und Erwerber ausreichen müsse, wird mE außer Acht gelassen, dass die übereinstimmende subjektive Sicht von beteiligten Vertragsteilen über die Wirksamkeit getroffener Vereinbarungen nicht immer den objektiven Gegebenheiten entsprechen muss.
Die materiell-rechtliche Prüfungsbefugnis des Firmenbuchgerichtes soll die Richtigkeit des Firmenbuchstandes gewährleisten. Die Eintragung eines Haftungsausschlusses gemäß § 38 UGB im Firmenbuch, der gar nicht wirksam vereinbart wurde, soll daher verhindert werden. Für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit einer solchen Ausschluss-Vereinbarung muss dem Firmenbuchgericht aber die inhaltliche Prüfung ermöglicht werden.

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